Katharina Horn

Aufklärung des Kindes

Über den Weg der Samenspende sprechen, das Kind aufklären und eine Haltung entwickeln.  

Aufklärung – Die Frage der Fragen

Bei allen Familienkonstellationen mit einem Kind aus einer Samenspende treten eher früher als später die Fragen auf:

  • Wie kläre ich mein Kind auf?
  • Wann kläre ich mein Kind auf?
  • Woran erkenne ich, dass ich anfangen kann?

Das sind die häufigsten Fragen, die ich in meiner Beratung höre. Was viele meiner Klient*innen nicht wissen: Aufklärung ist mein Herzensthema. Stundenlang könnte ich über das Thema Aufklärung referieren und reflektieren. Warum? Dazu muss ich ein wenig ausholen.

Vorwürfe gegenüber Solomüttern

Gerade den Solomüttern wird zumindest in den sozialen Medien immer wieder der Vorwurf entgegengebracht, den Kindern würde es schlecht gehen, die in einer Ein-Eltern-Familie aufwachsen. Geht es also persé jeder alleinerziehenden Person schlecht und die Kinder „entwickeln sich nicht gut“? Als Solomutter, die diesen Weg gewählt hat, sei dies eine egoistische Entscheidung gewesen. Puh. Naja ist nicht auch jede Entscheidung für ein Kind eine egoistische Entscheidung? Oder wie es gerne mal in den Vernetzungstreffen formuliert wird: „Werden denn je die Kinder von Heteroeltern gefragt?“. Ist es egoistisch, weil es kein einfacher Weg wird? Ist Überforderung vorprogrammiert? Ich sage: JEIN. Klar wird es immer Momente der Überforderung geben. Und diese Momente gilt es ernst zu nehmen, keine Frage. Momente der Überforderung kennen aber auch sicher alle Personen mit Kindern, egal mit welcher Konstellation sie eine Familie bilden. Solomütter bereiten sich meistens vor. Viele Solomütter vernetzen sich und bauen ihre sozialen Netzwerke aus, helfen sich gegenseitig. Ja, der Weg ist steinig und nicht immer leicht. Aber wie geht es denn eigentlich den Kindern?

Wie geht es Kindern aus Solomutterfamilien?

Wir kommen aus einer „düsteren“ Zeit. Früher waren die Samenspenden anonym und den Eltern wurde oft empfohlen, ihre Kinder nicht aufzuklären. Deswegen wähle ich die Bezeichnung düster, denn heute wissen wir, wie wichtig es ist, dass Menschen die Möglichkeiten haben, über ihre genetische Herkunft zu erfahren. Und wir wissen, wie wichtig es ist, durch Samenspende gezeugte Kinder frühzeitig aufzuklären, denn selbst die Forschung hat gezeigt, dass bei spät aufgeklärten Kindern Vertrauensbrüche zu den Elternteilen beobachtet wurden bis hin zu Identitätskrisen bei den Kindern. Es sind keine Auffälligkeiten bekannt, dass Kinder von Solomüttern sich anders entwickeln würden, als anders gezeugte Kinder, aber wir wissen auch, es ist wichtig, das Kind frühzeitig aufzuklären (AWMF-Leitlinie 016-003, „Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie bei Fertilitätsstörungen“, Update 2019). Und deswegen ist Dein Umgang mit der Entstehungsgeschichte wichtig, damit es auch Deinem Kind gut geht. 

Persönliche Haltung zur Solomutterschaft

Für mich hängt die Aufklärung des Kindes ganz eng zusammen mit der persönlichen Haltung zur Solomutterschaft. Hegst Du Vorurteile gegenüber diese gewählte Familienform, so wird es Dir schwerfallen, Deinem Kind einen adäquaten Umgang mit seiner Entstehungsgeschichte zu vermitteln. Dein Kind soll aufwachsen und verinnerlichen, dass dies ein normaler Weg ist. Es gibt viele Wege, eine Familie zu gründen. Familien können unterschiedlich groß sein und es gibt die viele verschiedene Konstellationen. Denn, wenn dieser Weg für Dein Kind normal ist, wird es auch damit umgehen können. Geheimnisse oder „Sag-es-nicht-Anderen“-Anweisungen befeuern Scham und Unwohlsein. Dies gilt es zu vermeiden. Schlimmstenfalls schlussfolgert das Kind: „Irgendetwas mit meiner Entstehung ist falsch.“ Deshalb ist die eigene Haltung zu diesem Weg unheimlich wichtig. Und an dieser Stelle kommt oft auch noch die Trauer um den Plan A hinzu. Stecke ich noch tief in der Trauer, diesen Weg im klassischen Familienmodell anzugehen, ist der Plan B für vielleicht nur eine Not-Notlösung. Manche Solomütter haben lange Zeit benötigt, den Plan A loszulassen. Manche trauern noch immer. Einer meiner ersten Blogbeiträge zeigt das Auf-und-Ab der Entsscheidungsreise auf, durch das so einige Solomütter gehen mussten. Je stärker ich an dem klassischen Modell festhalte, desto weniger kann ich meinem Kind vermitteln, dass dieser Weg gut und normal ist. An diesem Punkt kommen so manche Unentschiedene nicht weiter.

Aufklärung ist ein Prozess

Ich finde es wichtig, dass Aufklärung möglichst unaufgeregt stattfindet. Viele meiner Klient*innen räumen zu Beginn unseres Gesprächs ein, sie würden auf den einen Tag warten, wenn das Kind „kognitiv“ soweit ist, die Zusammenhänge um seine Entstehung zu begreifen.  Auf diesen einen magischen Tag, an dem ich weiß: „Ja. Heute ist mein Kind soweit. Jetzt kläre ich auf.“

Und hier die bittere Wahrheit:

Diesen einen Tag wird es nicht geben!

Aufklärung ist ein Prozess. Es gibt nicht den einen Tag oder die eine Woche und dann ist das Kind aufgeklärt. Nein, die Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte des durch Samenspende gezeugten Kindes ist ein lebenslanger Prozess. Das ist nicht irgendwann abgeschlossen. Es wird Dich ein Leben lang begleiten. Verabschiede Dich also davon, bis auf einen bestimmten Tag zu warten. Er wird wahrscheinlich nicht kommen.

Finde deine Begriffe

Probier dich in der Schwangerschaft mit verschiedenen Begriffen aus,. Überlege dir, wie möchtest du die Person bezeichnen, die den Samen gespendet hat? Lieber Mann oder Mensch, der dir den Samen geschenkt hat oder Spender/Samenspender. Für diese begriffe ist eine Erläuterung nötig, diese findest du in den Aufklärungsbüchern. Lies hierfür diesen Artikel zu den Aufklärungsklassikern.

Fang frühzeitig an, fang einfach jetzt an!

Vor der Schwangerschaft wirst du mit ersten Personen über Deinen Weg reden. Du tauschst tief in die Welt der Reproduktionsmedizin, die Abläufe, die Sprache ein. Schon hier wirst Du merken, welche Begriffe sich gut anfühlen. Nimm es als Übung.

In der Schwangerschaft kommt die Zeit des „Outings“. Denn besonders als alleinstehende Person wirst Du vielleicht viele Menschen haben, die Dir zu Deiner Schwangerschaft gratulieren möchten. Nicht jeder Person wirst Du Deine Geschichte erzählen. Aber Du wirst sie oft erzählen. Auch hier „übst“ Du bereits. Oder anders gesagt, Du gewöhnst Dich an eine neue Sprache. Du sprichst über einen sehr persönlichen Teil Deines Lebens, der von der Heteronorm abweicht. Es ist kein herkömmlicher Weg. Es ist ein Weg, der zunächst für Andere unbekannt ist. Über diesen Weg verfügen Andere meistens über kein oder wenig Wissen. Du leistest also schon in der Schwangerschaft Aufklärungsarbeit. Und das trainiert auch Deinen eigenen Umgang mit Deiner Geschichte.

Wenn das Kind geboren ist, kannst Du anfangen, Deine Geschichte zu erzählen. Den Entstehungsprozess in kindgerechter Sprache so wiederzugeben, dass das Kind am Ende auch versteht und nicht überfordert ist, das stellt wirklich eine große Herausforderung dar. Aber Du musst das Rad nicht neu erfinden. Aufklärungsbücher haben sich hierbei als besonders hilfreich erwiesen, z.B. die Aufklärungsbücher vom FAMArt für Solomütterfamilien nach Samen- oder Embryonenspende. Denn die meisten Kinder lieben Bücher. Du musst keine künstliche Situation herstellen, um über die Entstehung zu sprechen. Beim Lesen lernt das Kind seine Geschichte kennen. Je öfter Du aus Büchern vorliest, desto mehr wird Deine Geschichte auch Teil Deines Sprachgebrauchs. Du übst die Geschichte bzw. Eure individuelle Geschichte auch, wenn ein kleines Baby noch nicht versteht, was diese vielen Worte bedeuten. Aber beim Vorlesen oder Erzählen vermittelst Du ein Gefühl: Du bist willkommen, du bist normal.

Und je älter das Kind wird, desto umfangreicher wird die Geschichte und desto mehr Details erfährt Dein Kind zu seiner Entstehung. Nutze Alltagssituationen, davon wird es viele Möglichkeiten geben. Neben dem Weg der Entstehung ist es wichtig, dass das Kind erfährt, was alles Familie bedeutet: Auch Einelternfamilien sind Familien. Auch Dreielternfamilien sind Familien. Familie ist bunt – Welche Familien kennst Du? Und was bedeutet Familie? Einige weiten den Begriff der Family um ein R aus und sprechen von einer Framily. Wer gehört zu Deiner Framily?

Das Schwierigste ist aber das Umfeld. Es reicht nicht aus, wenn Mama allein zu Hause über diesen Weg spricht. Auch Freund*innen, Oma, Opa, … müssen wissen, wie sie über den Weg sprechen dürfen. Das kannst Du vermitteln:

  • Bei uns gibt es keinen Papa oder Vater – bei uns gibt es einen lieben Mann, der uns den Samen geschenkt hat/ einen Samenspender.
  • Wir können jederzeit auch vor dem Kind über diesen Weg sprechen. Du musst nicht flüstern, den Raum wechseln oder Codewörter benutzen.
  • Bitte verurteile diesen Weg nicht vor meinem Kind.

Vielleicht kannst Du mit Oma und Opa ein Buch zur Aufklärung zusammenlesen. Du bist Vorbild, für Dein Kind und für Dein Umfeld. Und für andere Wunschmütter.

Möchtest Du mehr zur Aufklärung des Kindes erfahren?

Tausche Dich mit anderen Solomüttern aus, besuche Vernetzungstreffen und lerne andere Solomütter und ihren Umgang mit diesem Thema kennen. Auch Dein Kind kann so früh lernen, es gibt auch andere Familien, bei denen es auch einen Samenspender gab. In meinem vierten Modul meiner Workshopreihe „Als Solomama den Alltag meistern“ geht es noch mal umfangreich um die Aufklärung. Oder wir können auch direkt einen Termin zur Beratung vereinbaren.